Mannheim, 1992
im Rahmen der Ausstellung:
Tiefgang - Bildräume im Schlossbunker
Mannheim
Übersicht: Arbeiten mit Licht  
 
38 gelochte Fotokopien, 40 x 28,5 cm,
s/w Fotokopie
Öl auf Holz

 
 

Dirk Schlichting hat für einen Ausstellungsraum im Bunker unter dem Mannheimer Schloss im Rahmen der Ausstellung Tiefgang eine ungewöhnliche Arbeit geschaffen, die seine bisherige Tätigkeit in überzeugender Weise erweitert. Bis zu dieser Installation hat sich Dirk Schlichting mit formalen Grundfragen der Skulptur beschäftigt. Ihn interessiert die Thematik positiver und negativer Volumen, die Verschachtelung von Formen, die die bildhauerische Tätigkeit immer wieder bestimmt.
An Möbelstücken, wie sie auf dem Sperrmüll zu finden sind, nutzt Dirk Schlichting den leeren Raum zur Gestaltung neuer Formen, in einer Weise, dass der Ausgangscharakter des objet-trouve nur noch rudimentär den funktionalen Zustand des vormaligen Fundstücks zu erkennen gibt. So entstehen geometrische Skulpturen und Reliefs, die auf elementare Weise mit bildnerischen Mitteln die ehe­malige Form und Funktion einer Ausgangsform reflektieren.
Das Motiv der Erinnerung kündigt sich mit diesen Werken an und wird mit der Installation in Mannheim auf beeindruckende Weise fortgeführt, jedoch mit anderen Mitteln. Dirk Schlichting besichtigte die Stadt, ausgerüstet mit einem Fotoapparat. Er hielt die optischen Eindrücke der Straßen oberhalb des Bunkers fest, scheinbar bei­läufige Schnappschüsse, die aber immer eine spezifische räumliche Situation in Mannheim erkennbar werden lassen. Die Fotografien nimmt Dirk Schlichting zum Ausgangsmaterial seiner bildhauerischen Arbeit, indem er die Fotokopien der Schwarz-Weiß-Abbildungen mit einem Henkellocheisen perforiert. Die Abbilder der Straßenzüge und ihrer Architektur sind fast bis zur Unkenntlichkeit durchstanzt, das Papiermaterial wurde soweit abgetragen, dass die Stege zwischen den Lochungen gerade noch den Zusammenhalt der Bildfläche garantieren. Das Bild wurde nicht freigelegt, wie es als klassische Vorstellung von Skulptur gedacht wird, sondern es wird abstrahiert, vom Konkreten zum Vorstellbaren. Vergleichbar einer Treibarbeit in Metall wird das Papier bis an die Grenze seiner Stabilität gehämmert. Die bildhauerisch so behandelten Ablichtungen spezifischer Orte werden jetzt mittels eines langen Eisenstifts vor der Wand angeordnet, in einer Weise, dass sie als Einzelblatt deutlichen Abstand zur Wand zeigen und als Summe aller Bilder einen Fries bilden, der, dem Verlauf der abgebildeten Straßenzüge entsprechend, die fotografierten Eindrücke als Panorama der Stadt erscheinen lässt. An einer Stelle wird dieser Fries unterbrochen und die Fotokopie durch ein gemaltes Bild ersetzt.
Dirk Schlichting arbeitet in dieser Bunkerinstallation mit dem Motiv der Erinnerung auf verschiedenen Ebenen. Die Grundkonzeption bezieht sich auf die Funktion des Bunkers, der Betrachter ist dort abgeschlossen von der Außenwelt und wird jetzt mit den Bildern der oberirdischen Stadt konfrontiert. Das eine gemalte Bild steigert den Erinnerungscharakter der Arbeit, denn mit dem Medium Malerei greift Dirk Schlichting eine ursprüngliche Funktion von Malerei auf, Bilder im Bewusstsein zu halten, sie zu retten. Schließlich gestaltet Dirk Schlichting eine weitere Wahmehmungsebene, indem er die formalen Begebenheiten des Raumes ausnutzt. Die karge, nur durch eine Glühbirne garantierte Deckenbeleuchtung ruft eine theatralische Stimmung wach. Sie beleuchtet den Fries mit Schlagschatten, so dass die perforierten Bilder im Zusammenwirken mit der dahinterliegenden Wand auf Distanz scharf erscheinen, zwar gerastert wie ein Zeitungsfoto, jedoch nicht zerstört. Erst die nähere Ansicht gibt die durchlöcherte Papierstruktur zu erkennen und verunklärt die Ablichtungen zu fragilen Flächen, so als würde die Verflüchtigung der Erinnerung an den Bildern sichtbar, das meint unsichtbarer und in der Gestaltung jedes einzelnen Fotos sinnfällig. Auf anschauliche Weise vergegenwärtigt Dirk Schlichting die bedrückende Funktion des Schutzraumes, dessen massive Konstruk­tion seiner Wände im Gegensatz steht zu der fragilen Konstruktion des Bildfrieses. Erst dieser augenfällige Kontrast verbildlicht das Erinnerungsmoment, ein Gegensatz, der auch in der Darstellung massiv gebauter Häuser und der Perforierung ihrer Abbildung zum Ausdruck kommt. Das Medium der Fotografie wird in dieser Arbeit nur Vorwand für einen eigenwilligen bildhauerischen Ansatz. Zugleich bieten die Ablichtungen die Möglichkeit, Volumen zu verändern, denn das Licht, das durch die Lochung dringt und so auf der Wand eine Schattenprojektion entstehen lässt, steigert die räumliche Wirkung des Frieses. Dirk Schlichting interpretiert damit ein klassisches Genre der Bildhauerei auf eine neue Weise.

Friedrich Meschede

 

 

 
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