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Dirk Schlichting hat für einen
Ausstellungsraum im Bunker unter dem Mannheimer Schloss
im Rahmen der Ausstellung Tiefgang eine
ungewöhnliche Arbeit geschaffen, die seine bisherige
Tätigkeit in überzeugender Weise erweitert. Bis zu
dieser Installation hat sich Dirk Schlichting mit
formalen Grundfragen der Skulptur beschäftigt. Ihn
interessiert die Thematik positiver und negativer
Volumen, die Verschachtelung von Formen, die die
bildhauerische Tätigkeit immer wieder bestimmt.
An Möbelstücken, wie sie auf dem Sperrmüll zu finden
sind, nutzt Dirk Schlichting den leeren Raum zur
Gestaltung neuer Formen, in einer Weise, dass der
Ausgangscharakter des objet-trouve nur noch rudimentär
den funktionalen Zustand des vormaligen Fundstücks zu
erkennen gibt. So entstehen geometrische Skulpturen und
Reliefs, die auf elementare Weise mit bildnerischen
Mitteln die ehemalige Form und Funktion einer
Ausgangsform reflektieren.
Das Motiv der Erinnerung kündigt sich mit diesen Werken
an und wird mit der Installation in Mannheim auf
beeindruckende Weise fortgeführt, jedoch mit anderen
Mitteln. Dirk Schlichting besichtigte die Stadt,
ausgerüstet mit einem Fotoapparat. Er hielt die
optischen Eindrücke der Straßen oberhalb des Bunkers
fest, scheinbar beiläufige Schnappschüsse, die aber
immer eine spezifische räumliche Situation in Mannheim
erkennbar werden lassen. Die Fotografien nimmt Dirk
Schlichting zum Ausgangsmaterial seiner bildhauerischen
Arbeit, indem er die Fotokopien der
Schwarz-Weiß-Abbildungen mit einem Henkellocheisen
perforiert. Die Abbilder der Straßenzüge und ihrer
Architektur sind fast bis zur Unkenntlichkeit
durchstanzt, das Papiermaterial wurde soweit abgetragen,
dass die Stege zwischen den Lochungen gerade noch den
Zusammenhalt der Bildfläche garantieren. Das Bild wurde
nicht freigelegt, wie es als klassische Vorstellung von
Skulptur gedacht wird, sondern es wird abstrahiert, vom
Konkreten zum Vorstellbaren. Vergleichbar einer
Treibarbeit in Metall wird das Papier bis an die Grenze
seiner Stabilität gehämmert. Die bildhauerisch so
behandelten Ablichtungen spezifischer Orte werden jetzt
mittels eines langen Eisenstifts vor der Wand angeordnet,
in einer Weise, dass sie als Einzelblatt deutlichen
Abstand zur Wand zeigen und als Summe aller Bilder einen
Fries bilden, der, dem Verlauf der abgebildeten
Straßenzüge entsprechend, die fotografierten Eindrücke
als Panorama der Stadt erscheinen lässt. An einer Stelle
wird dieser Fries unterbrochen und die Fotokopie durch ein gemaltes Bild ersetzt.
Dirk Schlichting arbeitet in dieser Bunkerinstallation
mit dem Motiv der Erinnerung auf verschiedenen Ebenen.
Die Grundkonzeption bezieht sich auf die Funktion des
Bunkers, der Betrachter ist dort abgeschlossen von der
Außenwelt und wird jetzt mit den Bildern der
oberirdischen Stadt konfrontiert. Das eine gemalte Bild
steigert den Erinnerungscharakter der Arbeit, denn mit
dem Medium Malerei greift Dirk Schlichting eine
ursprüngliche Funktion von Malerei auf, Bilder im
Bewusstsein zu halten, sie zu retten. Schließlich
gestaltet Dirk Schlichting eine weitere Wahmehmungsebene,
indem er die formalen Begebenheiten des Raumes ausnutzt.
Die karge, nur durch eine Glühbirne garantierte
Deckenbeleuchtung ruft eine theatralische Stimmung wach.
Sie beleuchtet den Fries mit Schlagschatten, so dass die
perforierten Bilder im Zusammenwirken mit der
dahinterliegenden Wand auf Distanz scharf erscheinen,
zwar gerastert wie ein Zeitungsfoto, jedoch nicht
zerstört. Erst die nähere Ansicht gibt die
durchlöcherte Papierstruktur zu erkennen und verunklärt
die Ablichtungen zu fragilen Flächen, so als würde die
Verflüchtigung der Erinnerung an den Bildern sichtbar,
das meint unsichtbarer und in der Gestaltung jedes
einzelnen Fotos sinnfällig. Auf anschauliche Weise
vergegenwärtigt Dirk Schlichting die bedrückende
Funktion des Schutzraumes, dessen massive Konstruktion
seiner Wände im Gegensatz steht zu der fragilen
Konstruktion des Bildfrieses. Erst dieser augenfällige
Kontrast verbildlicht das Erinnerungsmoment, ein
Gegensatz, der auch in der Darstellung massiv gebauter
Häuser und der Perforierung ihrer Abbildung zum Ausdruck
kommt. Das Medium der Fotografie wird in dieser Arbeit
nur Vorwand für einen eigenwilligen bildhauerischen
Ansatz. Zugleich bieten die Ablichtungen die
Möglichkeit, Volumen zu verändern, denn das Licht, das
durch die Lochung dringt und so auf der Wand eine
Schattenprojektion entstehen lässt, steigert die
räumliche Wirkung des Frieses. Dirk Schlichting
interpretiert damit ein klassisches Genre der
Bildhauerei auf eine neue Weise.
Friedrich Meschede
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