fortwährend instabil, 2005

Rauminstallation über drei Räume
Kultur-Magazin Lothringen, Bochum

Dirk Schlichting – fortwährend instabil

fortwährend instabil - auf zwei letztlich konträre Vorstellungen richtet uns der Titel der Ausstellung aus. Zum einen geht es um eine zeitliche Erfahrung, um die Empfindung von Dauer, von Unveränderlichkeit, eines stetigen Flusses. Der Begriff des Instabilen bringt hingegen eine räumliche Dimension ein, verweist er doch in einen architektonischen Zusammenhang, wenn dieser auch eine Negation erfährt und einer Auflösung zugeführt wird. So artikuliert sich bereits über den Titel ein Paradox. Der Ausdruck von Beständigkeit verbindet sich mit einer eher labilen Situation, die eine Option auf Veränderung in sich trägt. Der fort bestehende Zustand ist so über den Titel spannungsvoll mit dem möglichen Umschlag eben dieses Zustandes verknüpft.

Durch drei Rauminstallationen gestaltet Dirk Schlichting die drei Ausstellungsräume als komplexes Beziehungsgeflecht. Hierbei gibt es keine feste Reihenfolge. Es wird nicht zwangsläufig eine Geschichte nacherzählt. Durch Einbauten, Requisiten und Versatzstücke, Licht und Klang teilen sich Befindlichkeiten und Zustände mit. Situationen und Abläufe werden vorstellbar, ohne unmittelbar stattzufinden.

Wenn wir die Ausstellungsräume betreten, vermittelt sich uns der Eindruck, als würde sich vor uns ein Film abspielen, ein Film, in den wir Schritt für Schritt eingebunden werden, doch ohne Akteur im eigentlichen Sinne zu sein. Wir bewegen uns zwar durch die Kulissen, werden auf ein möglicherweise gleich eintretendes Szenarium eingestimmt, das eigentliche Geschehen bleibt jedoch ausgeblendet.

Zunächst erblicken wir ein abgeschlossenes Kabinett, das, dem Vorführraum eines Kinos nicht ganz unähnlich, uns blendendes Licht entgegen wirft. Ein wenig befremdend muten die beiden Fenster an, aus denen das Licht zu uns vordringt, sind hier doch, recht unscheinbar, seitlich Gardinen angebracht. Offenbar ist diesem uns verschlossen bleibenden Raum eine größere Bedeutung zu bemessen als zunächst gedacht. Dann erst fällt der Blick auf ein Schattenbild an der Wand, das – eben wie in einem Film – durch Fenster Einblick in einen Innenraum gewährt. In weitaus größeren Dimensionen finden wir hier die beiden durch Vorhänge eingefassten Fenster wieder, in einem von diesen, in irritierender Übergröße, ein offenbar tropfender Wasserkran. Erst wenn wir einen Standort gefunden haben, an dem wir der gleißenden Lichtquelle ausweichen können, machen wir im verschlossenen Nebenraum das Objekt aus, dessen Schattenwurf den zentralen Ausstellungsraum fast monumental, doch ungreifbar und irgendwie zerbrechlich, beherrscht. Um diese Versuchsanordnung zu ergründen, bewegen wir uns kontinuierlich zwischen dem Schattenbild und dem Projektionsraum, dem in seiner Verschlossenheit ein Rätsel zu umgeben scheint. Indem wir immer wieder auf das Motiv des Fensters zurück geworfen werden, fühlen wir uns in eine Beobachtersituation verbannt. Es drängt sich die Empfindung auf, von außen in einen Innenraum zu blicken, selbst keinen Zugang zu finden, wobei allmählich auch die klaren Abgrenzungen von Innen und Außen verfließen. Irgendwie wirkt das Bild, das sich da ein wenig verschwommen vor uns abzeichnet, doch sehr vertraut, fast intim. Die Spüle scheint eben noch genutzt worden zu sein. Gerade durch die Abwesenheit drängt sich eine menschliche Gegenwart auf, eine Person, die dort jederzeit – wenn auch bloß als Schattenriss – auftauchen mag, sich vielleicht gerade im Nebenraum verborgen hat. Andererseits ist doch verwunderlich, dass der Wasserhahn uns unmittelbar zugewandt ist, als fordere er uns dazu auf, dem unaufhörlichen Tropfen endlich Einhalt zu gebieten. Weiteres Befremden schafft der ebenfalls aus zunächst unsichtbarer Quelle zu uns vordringende Klang: das kontinuierliche, allmählich immer aufdringlicher werdende Rauschen einer stark befahrenen Straße. Hier verfestigt sich der Eindruck, sich in einem ungeschützten Gelände zu befinden. Das warme Licht vermittelt den Drang, diesen doch lärmenden Ort hinter sich zu lassen, um in den Hort von Geborgenheit und Ruhe, so wie er in der filmisch anmutenden Projektion spürbar wird, aufgenommen zu werden. In der paradoxen Situation zwischen Innen und Außen festgehalten, baut sich eine unbestimmte Empfindung von Unsicherheit, vielleicht gar von Melancholie auf.

Im Folgenden werden wir durch ein gleichermaßen warmes Licht in die Kellerräume der Galerie geleitet. Hier begeben wir uns in einen lang gestreckten Raum, der sich einem Verkehrstunnel anverwandelt hat. Die am hinteren Ende eingezogene Krümmung deutet den weiteren Wegeverlauf an. Aufleuchtende Baken signalisieren einen Gefahrensituation, fordern Aufmerksamkeit ein. Als Störfaktor sind ein einfacher Klappstuhl und ein Campingtisch eingebracht. Wer mag sich hier installieren wollen? Der Aschenbecher zeigt an, dass die entsprechende Person nur für einen Augenblick verschwunden ist, um jederzeit ihre Position hier wieder besetzen zu können. Der Durchgangsraum des Tunnels, den man in schneller Fahrt eigentlich am liebsten schnell hinter sich bringt, um an seinen Zielpunkt zu gelangen, gewinnt durch das Mobiliar eine – wenn auch temporäre und provisorische – Aufenthaltsqualität. Der eingebrachte Klang verstärkt die Irritation, denn nicht tosender Verkehr, den wir andernorts ja schon vernommen haben, wird hörbar, sondern das Tropfen eines Wasserhahnes. Die klaustrophobische Enge eines stark befahrenen Tunnels verbindet sich auf der akustischen Ebene mit einem Bild von Langsamkeit und Stetigkeit, das in seiner Beharrlichkeit doch allmählich an Bedeutsamkeit gewinnt und sich uns in wachsender Intensität fast bedrohlich einprägt. Etwas Unbestimmbares, Flüssiges, Amorphes scheint plötzlich aus dem oberen Galerieraum nach unten durchzudringen, durchzusickern, um so beide Rauminszenierungen aufeinander zu beziehen. Sind wir hier in das Innere des Privatraums vorgestoßen, der eben noch so verheißungsvoll schien? Der zu erwartende Verkehr bleibt letztlich zwar aus, doch das kontinuierliche Aufblitzen der Warnsignale stimmt auf ein jederzeit eintretendes Ereignis als Möglichkeit ein: ein Geschehen, das aus dem Rahmen des Alltäglichen heraus bricht, ein Unfall, eine außergewöhnliche Baustellenmaßnahme, ein Gefahrentransport, auf jeden Fall eine Unterbrechung und Störung der gewohnten, alltäglich wiederkehrenden Abläufe. Bei genauerer Betrachtung ist der Tunnel im Übrigen wie abgeschnitten, an beiden Enden zugemauert. Der Durchgangsraum gerät zur beidseitigen Sackgasse, aus der es kein Entrinnen gibt, wird gleichzeitig aber auch zum Schutzraum, in dem wir verzweifelt Zuflucht suchen.

Im dritten Ausstellungsraum dringen wir schließlich in das mit persönlichen Accessoires ausgestatte Büro eines Wachmanns ein, ebenfalls in diesem Augenblick verwaist. Doch immerhin läuft noch das Radio, die Tasse Kaffee ist wie beiläufig dort abgestellt, so dass mit der Rückkehr des hier postierten Mannes jederzeit zu rechnen ist. Auf einem Monitor sehen wir das Bild einer Überwachungskamera, die uns, wenn auch aus einem anderen Blickwinkel, in die Tunnelsituation zurückführt. Doch diese Aufnahmen zeigen uns offenbar einen tatsächlich genutzten Tunnel, denn in unregelmäßigen Abständen fahren hier, durch die ruckende Wiedergabe verfremdet und in Distanz gerückt, Fahrzeuge hindurch. Verstört kehren wir in Gedanken in den eben besichtigten Tunnelraum zurück, um uns zu fragen, wo denn die Überwachungskamera installiert war, ob wir vielleicht selbst Gegenstand der Kontrolle und damit Bestandteil auch dieser Ausstellung geworden sind. Die intime Raumsituation lädt sich bedeutungsvoll auf, scheinen wir hier doch in eine Art Schalt- oder Schnittstelle aller zuvor durchschrittenen Ebenen vorgestoßen zu sein, um gleichzeitig den hier im Verborgenen wirkenden Angestellten bei einem Versäumnis, dem Verlassen seines Arbeitsplatzes ertappt zu haben. Alles, was wir zuvor beobachtend zu ergründen versucht haben, scheint plötzlich wie von einer unsichtbaren Kraft gesteuert zu sein, eben wie ein Filmszenarium, in das wir allmählich immer weiter hinein gewachsen sind, ohne die eigentliche Erzählung verstanden zu haben oder dem Regisseur begegnet zu sein. Ein wenig fühlen wir uns plötzlich wie Mitwirkende und paradoxerweise gleichzeitig als Zuschauer der „Trueman Show“, dessen Zentralfigur ja gar nichts davon weiß, dass sein Alltag als filmische life-Doku Abend für Abend von Millionen von Fernsehzuschauern verfolgt wird. Die Szenarien, die Dirk Schlichting hier geschaffen hat, rufen uns Bilder aus unserem ganz alltäglichen Leben vor Augen, scheinen sich so mit unseren eigenen Erfahrungen zu verknüpfen. Durch Verfremdungen rücken wir andererseits immer wieder in die Rolle des distanzierten Beobachters, dem sich damit auch die Absurdität des zunächst so Vertrauten und Bekannten vergegenwärtigt.

Hier sei abschließend nochmals an den Titel der Ausstellung angeknüpft: fortwährend instabil - Es geht um einen Balanceakt, um die Beharrlichkeit, einer krisenhaften Situation standzuhalten. Wie in einer filmischen Endlosschleife gewähren die Installationen von Dirk Schlichting Zugang zu einer vielschichtigen Anschauung unserer Lebenswirklichkeit, so wie sie sich uns alltäglich darstellt, sei es in unserer direkten Umgebung oder – hiermit untrennbar verwoben – in den Spiegel- und Schattenbildern der Massenmedien.

 
 
   Christoph Kivelitz

 

 
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