Interview mit Guido Meincke zur Arbeit Innere:

INNERE hieß Deine Rauminstallation im Dortmunder Kunstverein. Der Titel bezieht sich zunächst illustrativ auf das, was zu sehen war: Eine Krankenhausstation mit einem Krankenzimmer, einem Schwesternzimmer und einem Foyer mit einem Aufzug. Gleichzeitig scheint der Titel eine Metapher zu sein, die Hinweise auf tiefer liegende Bedeutungsebenen der Arbeit enthält.

Der Titel INNERE war für mich schlüssig, weil er zum einen tatsächlich illustrativ die Situation beschreibt, die einer Krankenstation Innere. Gleichzeitig aber auch diesen sehr besonderen inneren Zustand, die Situation als Besucher im Krankenhaus: Mit einem Schritt aus dem normalen Zeitlauf herausgenommen zu werden, ungewollt Intimes, Krankheit und vielleicht Tod mitzubekommen, unvermittelt und ungewohnt Existenzielles. Die Idee, eine INNERE zu schaffen, war am Ort Dortmunder Kunstverein besonders reizvoll, der sich durch seine „Schaufenstersituation“ der Straße öffnet. Durch die Abkapselung ist der emotionale Wechsel, den der Ausstellungsbesucher beim Betreten macht, besonders groß – von der belebten Straße in die intime Situation des Krankenzimmers.

Man befindet sich also nicht etwa einer logischen Reihenfolge gemäß zuerst auf dem Gang oder im Fahrstuhl, sondern steigt gewissermaßen am Ende ein. Solche Krankenhaus-Zimmer sind normalerweise keine Durchgangszimmer. Die Eingangstür fällt zu und verschwindet.

Womit wir schon bei den filmischen Mitteln wären, die mich bei nahezu allen Rauminstallationen begleiten. Vor Jahrzehnten las ich einmal über den Unterschied zwischen (damaligem) amerikanischem und europäischem Film in der „Zeit“: Der europäische Film entwickelt diverse Erzählstränge, nähert sich vorsichtig und zeigt dann, nach einer halben Stunde, die Katastrophe – der amerikanische lässt das Flugzeug in der Eröffnungssequenz abstürzen und man ist sofort mittendrin. Oder eine Eröffnungssequenz von Lars von Triers Film Europa, den sehr schätze: Man sieht Schienen, der Sprecher aus dem off erzählt einen groben Rahmen und zählt von 10 auf 1 runter – hypnotisch – bei 1 ist man im Film drin. Andere Beispiele für solche filmischen Mittel, die großenteils unbewusst wirken: Ich glaube in Bei Anruf Mord ist an einer Stelle das Telefon vergrößert nachgebaut worden, um eine unterschwellige Betonung zu setzen. Oder wenn Orson Welles bei der Verfilmung von Kafkas Prozess die Wohnstube des Protagonisten in einer zweiten Szene verkleinert – Bedrängnis pur. Hitchcock appliziert eine Glühbirne in ein Glas Milch, um ganz unauffällig Zweifel zu schüren, ob der Mann die Frau damit nicht vergiften will. Für mich als Bildhauer liefert da der Film jede Menge an Vorlagen.

Schnitt. Der Besucher des Kunstvereins findet sich unvermittelt in einem Krankenzimmer wieder. Neonbeleuchtung. Da steht ein Krankenbett. Das Bettzeug ist zerwühlt. Ein Nachthemd. An der gegenüberliegenden Wand ein Fernseher, auf dem eine amerikanische Soap flimmert. Ohne Ton. Ein Beistelltisch mit einer Wasserflasche und einem Kreuzworträtsel. Die Situation wirkt absolut authentisch, als ob der Patient gerade erst das Zimmer verlassen hätte…

Das fand ich auch wichtig, dass es auf den ersten Blick so echt aussah. Da stand  ja ein altes Krankenbett aus dem Augusta-Krankenhaus, zu dem ich sogar noch die originale Bettwäsche bekommen habe. Das war alles recht glaubhaft. Der plötzliche Wechsel von der belebten Straße in diesen ruhigen, sehr intimen Raum war, glaube ich, sehr gelungen und ein emotionaler Schock, um in die Situation hineingezogen zu werden. Und gleichzeitig hört man nicht das Lachen vom Band der gezeigten Soap, sondern hört schon – vielleicht unbewusst – das Geräusch der Fahrstuhltür, das man noch nicht zuordnen kann.

Das Geräusch dringt aus dem Nebenraum herüber, den Du mit einer Wand abgetrennt hast. Der Raum ist komplett verdunkelt und wird allein durch das Licht aus dem Fahrstuhl beleuchtet, dessen Türe sich in regelmäßigen Abständen öffnet und schließt.

Die sich öffnende und schließende Fahrstuhltür, das Ausgangsbild für diese Installation, aus dem sich alles andere entwickelt hat, ist ebenfalls ein Bild aus einem Film, das sehr stark ist. Man weiß sofort,  dass etwas nicht in Ordnung ist, weil die Maschine sich nicht so verhält, wie gewohnt. Der Ablauf ist gestört, etwas ist in Unordnung geraten.

Dieses suggestive Bild hast Du aus seinem Kontext gelöst und quasi stillgestellt nicht einen Augenblick eingefroren, wie bei einem Foto oder Filmstill, sondern eine gewisse Dauer isoliert. Der Betrachter gerät in eine Zeitschleife. Der Aufzug wirkt ja wie ein Taktgeber in einer Videoloop, in der sonst nichts passiert.

 Das ist wie in einem Film ohne Film, ohne Ablauf, kein Plot. Der Besucher tritt in das Geschehen ein zu einem bestimmten und zugleich unbestimmten Zeitpunkt. Du denkst ja ständig, Du bist in irgendeiner Geschichte drin, aber Du kannst sie überhaupt nicht nachvollziehen.

Neben dem Verlust des Zeitgefühls gibt es weitere subtile Irritationsmomente. Die Schwesternknöpfe, mit denen man vielleicht Hilfe rufen könnte, sind unecht, bzw. relativ grob aus Silikon nachgebildet. Du machst ja öfter solche Silikon-Objekte. Oder der Aufzug, der gar keine Steuerkonsole enthält. Zum Schwesternzimmer, in dem ein Telefon steht, ist der Zugang versperrt. Der Besucher ist scheinbar von allen Steuerungsmöglichkeiten abgeschnitten und der Situation hilflos ausgeliefert.

Natürlich bleibt sich der Besucher darüber im Klaren, dass er jederzeit Abstand nehmen und die Ausstellung verlassen kann. Aber richtig, meine Arbeiten sind keine „interaktiven Installationen“. Der Besucher bleibt in vielerlei Hinsicht „Betrachter“. Ein Begriffspaar, das mir auch von der emotionalen Haltung her sehr passend erscheint, ist „eingeschlossen / ausgeschlossen“. Eine Situation, die man in der Arbeit wiederholt antrifft, angefangen beim Fernseher: Die einzigen Menschen, die gezeigt werden, sind die in der Soap, doch die läuft ohne Ton, und so kann der Zuschauer den Witz nicht nachvollziehen – ziemlich einsame Situation, einen Witz nicht zu verstehen… Das Schwesternzimmer ist wie ein „Aquarium“ – hinter einer großen Glasfront –, das durch die Beleuchtung des Fahrstuhls kurzfristig erscheint und dem Blick wieder entzogen wird, bis auf den immer zu sehenden Lichtpunkt des Monitors, der weitere verlassene Krankenbetten zeigt. Der Ausstellungsbesucher wird in eine Situation gezogen, die er letztendlich nicht versteht. Während im Film das immerwährende Öffnen und Schließen der Fahrstuhltüre später erklärt wird, erkennt man hier auch, dass der Frauenschuh die Tür blockiert und die Störung verursacht, man ist aber nicht in der Lage, das Ganze in einen schlüssigen Gesamtzusammenhang zu bringen. Man ist eingeschlossen in die Situation und steht gleichzeitig außen vor.

Mir ist über die Dauer der Ausstellung aufgefallen, dass man im Nachgehen der Details immer weniger versteht. Die kausalen und narrativen Zusammenhänge lösen sich nach und nach auf. Vertrautes erscheint zunehmend unvertraut, die Gegenstände verlieren ihre gewohnte Bedeutung. Mit der Veränderung der Wahrnehmung richtet sich die Aufmerksamkeit auf formale Aspekte, wie z.B. die Kreuzform der Rampe vor dem Aufzug.

Gerade weil sich die Geschichte verflüchtigt, und man nur noch einzelne Anhaltspunkte hat, die nicht wirklich weiterführen, macht man sich eigene Vorstellungen und füllt das Vakuum mit Hilfe der Imagination. Das Memento Mori, das Du ansprichst, und das im Krankenhaus eine nahe liegende Assoziation ist, habe ich in der Entwicklungsphase der INNEREN stückweise zurückgenommen. Z.B. habe ich die „Votivbilder“, die ich eigens für die Installation gemalt habe, letztendlich doch nicht aufgehängt. Aber natürlich hat INNERE etwas mit Melancholie zu tun und mit Einsamkeit.

In Deinen skulpturalen Arbeiten oder raumgreifenden Installationen nimmt der Werkprozess, so kann man sagen, seinen Ausgang vom „Bild“. Dabei ist nicht einfach so, dass Du vorhandene Bilder aufgreifst und diese räumlich rekonstruierst. Mir scheint vielmehr, dass Du von latenten Vorstellungsbildern ausgehst, die immer wiederkehren – häufig auch im Film – und sich in unterschiedlichen Zusammenhängen in verschiedenen Medien manifestieren. Das „Bild“ ist hier kein Modus der Darstellung oder der Wiedergabe eines konkreten Sachverhalts, sondern – wie im Traum – eine eigenständige Kategorie.

Der „Traum“ enthält durchaus interessante Aspekte, die sich auf meine Arbeit beziehen lassen. Wichtig aber und interessant an solchen Bildern ist, dass sie jeder kennt. Damit kann man arbeiten. Das ist mein Ausgangsstoff. Auf der anderen Seite ist mir die Materialität sehr wichtig. Wofür betreibe ich sonst den ganzen Aufwand mit den Aufbauten? Dabei entstehen Bildräume, die begehbar und erfahrbar sind, und in denen man die Materialität der Gegenstände hat. Das ist für mich eine ganz wesentliche Antriebsquelle, weil es ein ganz anderes Erleben mit sich bringt.

Das heißt auch, dass sich das Erlebnis INNERE in eine Dokumentation nicht übersetzen lässt. Es bleibt denjenigen vorbehalten, die die Ausstellung im Dortmunder Kunstverein selbst besucht haben.

Ich muss sagen, dass ich noch nie so intensive Gespräche geführt habe über eine Arbeit wie im Dortmunder Kunstverein. Von den Ausstellungsbesuchern gab es viele offene Fragen, und einige, die wirklich sehr genau hingesehen haben. Für diejenigen, die die Ausstellung nicht besucht haben, gibt es eine sehr gelungene filmische Übersetzung, die über eine Dokumentation weit hinausgeht, den Film zur INNEREN von Christian Kalbhenn und Simone Rikeit.

 
     
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