Rede zur Eröffnung
von Simone Rikeit

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Herzlich willkommen in der Kunstkirche Christ-König, anlässlich der Eröffnung einer Rauminstallation von Dirk Schlichting mit dem Titel „…erwartet", zu der ich einige Worte sagen möchte.
Die Kunstkirche Christ-König ist über eine Treppenanlage und ein dreitüriges Kirchenportal zu betreten.
Wer die Kirche kennt, erwartet dahinter einen breiten, langen und hohen Kirchenraum, durch deren Fenster bei Sonnenschein ein wunderbares Licht- und Schattenspiel sichtbar wird und der mit einer schlichten abgerundeten Apsis endet.
Schon die von der Straße aus sichtbare Kirchenfassade weist auf die Größe des Inneren hin.
Wer die Kirche nicht kennt, erwartet über die breite und hohe massive Außenfassade ebenso einen in seinen Dimensionen entsprechenden Kirchenraum.
Doch es kommt ganz anders, als erwartet.
Im Vorraum werden Sie, um ins Kircheninnere zu gelangen, zur mittleren der abermals drei, diesmal goldenen Glastüren gelenkt, und es eröffnet sich Ihnen folgendes Bild:
Ein langer, diffus beleuchteter Gang, mit gelb und braun gestrichenen Wänden, orangefarbenem Teppichboden, dunklen mit Messingklinken und goldenen Nummern versehene Türen zur Rechten und zur Linken, ein roter Feuerlöscher, ein Notausgangsschild.
Stufen am hinteren Teil des Ganges, und dann?
Sie treten ein in ein Bild.
Sie finden sich einem Hotelflur wieder, der sich über nahezu die gesamte Länge des etwa 50 m langen Kirchenraumes erstreckt.
Sie gehen durch einen kleinen, hell beleuchteten Vorraum, der sich in der seiner Höhe vom eigentlichen Flur absetzt.
Sie schlendern vorbei an den dunklen Türen, die mit goldenen dreistelligen Zahlen ausgestattet sind.
Die Zimmernummern von 101 bis 119 weisen darauf hin, dass es sich um eine erste Etage handelt und dass es möglicherweise noch weitere Etagen gibt?
Sie sehen wechselnde Betonungen der Horizontalen und der Vertikalen.
Die dunklen Türen verdeutlichen in ihrer Vielzahl die Länge des Raumes.
Die unter der Decke zu sehenden Balken rhythmisieren und entschleunigen den Raum, teilen ihn in Streckenabschnitte ein.
Die dunkle Mittelleiste zwischen der gelben und der braunen Wandfarbe betonen abermals die Länge des Raumes.
Je näher Sie dem hinteren Teil des Flures kommen und sich den Stufen nähern, sehen Sie ein horizontal angeordnetes, grünlich graues Gebilde, das den Durchgang versperrt, und Ihnen vorher vielleicht gar nicht so aufgefallen ist.
Erst ab einer gewissen Annäherung wird klar, dass es ein massiver Steintisch ist – der Altar. Er ist eingebaut von dem Flur, gleichzeitig ragt er über diesen hinaus.
Hier wird Ihnen vor Augen geführt, dass es sich um einen Kirchenraum handelt. An dieser Stelle des Flures kippt die Raumwahrnehmung zwischen Hotel und Kirche, Kirche und Hotel.
Der dahinter liegende Raum bleibt unbegehbar und unerreichbar, das Zimmer mit der Nummer 119 scheint unbenutzbar.
Der kleine Raum hinter dem Altartisch ist ein Unraum.
Der in Herne lebende Künstler Dirk Schlichting zeigt hier in der Kunstkirche Christ-König ab heute bis zum 25. November unter dem Titel „…erwartet" eine begehbare Rauminstallation, die mit den Erwartungen des Besuchers spielt.
Der Blick auf den bekannten oder nur in der Vorstellung vorhandenen großen Innenraum der Kunstkirche ist verstellt. Ein Hotelflur ist eingezogen.
Es ist ein reduziert eingerichteter Hotelflur, ein Gang der grade soviel Informationen enthält, als dass der Besucher erkennen kann, welche Funktion er haben soll.
Die farbliche Gestaltung des Flurs scheint Anleihen in den 70er Jahren zu haben, orangefarbener Teppich, gelbe und braune Wände, doch eine genaue zeitliche Einordnung der Flurgestaltung scheint nicht möglich.
Es ist ebenso wenig ein moderner, durchdesignter Flur, wie ein gutbürgerlich eingerichtetes Hotel.
Dirk Schlichtings Rauminstallation basiert auf Alltagssituationen oder Filmbildern, die uns allen schon mal begegnet sind.
Jeder kennt aus eigener Erfahrung oder aus Film und Fernsehen Hotels bzw. Hotelflure.
Die inszenierte Raumarbeit des Bildhauers ist keine laute, multimediale, geschweige denn ein interaktiver Unterhaltungsraum.
Vielmehr ist es, wie im Falle dieses Hotelflures, ein stille, atmosphärisch etwas schummerig anmutende und irgendwie auch wieder distanzierte Raumarbeit.
Das Licht spielt hier als Stimmungserzeuger oder Stimmungsträger eine maßgebliche Rolle.
Schlichtings Rauminstallation wirft ihre Besucher auf sich selbst zurück.
Voraussetzung dafür ist, dass Sie diesen Raum allein begehen und erfahren.
Und Voraussetzung ist auch, dass Sie sich Zeit nehmen, dass Sie sich einlassen auf den Ort, den Raum, seine Atmosphäre und Ihre Gedanken oder Fragen.
Was verbirgt sich hinter den Türen? Wie könnte dieses Hotel sonst noch aussehen? Und: Wie sieht der Kirchenraum aus? Wie verorte ich mich?
Die Rauminstallation von Dirk Schlichting springt zwischen Fiktion und Wirklichkeit.
Obgleich Wände, Türen, Stufen und Teppich real vorhanden sind und den Raum klar begrenzen, schwingt ebenso der real existierende Kirchenraum in der Vorstellung mit.
Die Installation ist Raumbild gleichermaßen wie Bildraum. Sie löst Bilder aus, Gedankenbilder, innere und äußere Bilder.
Ebenso schwingt die Ebene von Modell und Raum mit.
Sie finden sich in einem Raum wieder, der grade mal ein Fünftel der Sechstel und ein Fünftel der Höhe des Kircheninnenraums einnimmt, die Länge aber sichtbar und erfahrbar lässt.
Der Hotelflur erscheint klein bei Vergegenwärtigung des aus menschlicher Perspektive überdimensionalen Kirchenraumes.
Ein gegenüber dem Kirchenraum wie ein Miniaturraum erscheinender Flur.
Ein Raum im Raum.
Dirk Schlichting verzichtet hier auf Spuren menschlichen Daseins, auch sind es nicht mehrere Räume oder narrativen Fragmente – wie die 2008 gezeigte Installation „Innere".
Es ist ein geschlossener Raum ein hortus conclusus, ein geschlossener Ort der Rückzugs- und Sehnsuchtsort gleichermaßen sein kann, und in der Bildenden Kunst sowie im Film ein bekanntes Motiv ist.
Aber nicht gedanklich: Dirk Schlichtings Installation „…erwartet" ist ein Ort voller Rätsel und Widersprüche.
Und, wer will, ein Ort für eine vielschichtige gedankliche Erfahrung.
„Neugierig, nicht wissend, was ihn erwartet, vielleicht auch ein bisschen ängstlich" wird der Betrachter und Besucher auf die Reise geschickt und ist dabei vielleicht auch „offen für Wunder".
Christoph Kivelitz schrieb 2005: „So schafft Dirk Schlichting mit seiner Installation ein Raum greifendes Bild, das in seinen Uneindeutigkeiten, Vielschichtigkeiten und Widersprüchen jedes konkrete Nutzungskonzept umspielt. Jenseits der Antagonismen von Vision und Realität schafft er eine offene, nicht zu bestimmende Situation, in der die Bezüge von Raum und Zeit widersinnig ineinander verschachtelt sind."

Diesen Worten möchte ich mich anschließen und wünsche Ihnen bei der Begehung dieses Raumes viele spannende Gedanken und Fragen.

Simone Rikeit


 
     
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