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Herzlich willkommen in der Kunstkirche
Christ-König, anlässlich der Eröffnung einer Rauminstallation von Dirk
Schlichting mit dem Titel „…erwartet", zu der ich einige Worte sagen
möchte.
Die Kunstkirche Christ-König ist über eine Treppenanlage und ein
dreitüriges Kirchenportal zu betreten.
Wer die Kirche kennt, erwartet dahinter einen breiten, langen und hohen
Kirchenraum, durch deren Fenster bei Sonnenschein ein wunderbares Licht-
und Schattenspiel sichtbar wird und der mit einer schlichten
abgerundeten Apsis endet.
Schon die von der Straße aus sichtbare Kirchenfassade weist auf die
Größe des Inneren hin.
Wer die Kirche nicht kennt, erwartet über die breite und hohe massive
Außenfassade ebenso einen in seinen Dimensionen entsprechenden
Kirchenraum.
Doch es kommt ganz anders, als erwartet.
Im Vorraum werden Sie, um ins Kircheninnere zu gelangen, zur mittleren
der abermals drei, diesmal goldenen Glastüren gelenkt, und es eröffnet
sich Ihnen folgendes Bild:
Ein langer, diffus beleuchteter Gang, mit gelb und braun gestrichenen
Wänden, orangefarbenem Teppichboden, dunklen mit Messingklinken und
goldenen Nummern versehene Türen zur Rechten und zur Linken, ein roter
Feuerlöscher, ein Notausgangsschild.
Stufen am hinteren Teil des Ganges, und dann?
Sie treten ein in ein Bild.
Sie finden sich einem Hotelflur wieder, der sich über nahezu die gesamte
Länge des etwa 50 m langen Kirchenraumes erstreckt.
Sie gehen durch einen kleinen, hell beleuchteten Vorraum, der sich in
der seiner Höhe vom eigentlichen Flur absetzt.
Sie schlendern vorbei an den dunklen Türen, die mit goldenen
dreistelligen Zahlen ausgestattet sind.
Die Zimmernummern von 101 bis 119 weisen darauf hin, dass es sich um
eine erste Etage handelt und dass es möglicherweise noch weitere Etagen
gibt?
Sie sehen wechselnde Betonungen der Horizontalen und der Vertikalen.
Die dunklen Türen verdeutlichen in ihrer Vielzahl die Länge des Raumes.
Die unter der Decke zu sehenden Balken rhythmisieren und entschleunigen
den Raum, teilen ihn in Streckenabschnitte ein.
Die dunkle Mittelleiste zwischen der gelben und der braunen Wandfarbe
betonen abermals die Länge des Raumes.
Je näher Sie dem hinteren Teil des Flures kommen und sich den Stufen
nähern, sehen Sie ein horizontal angeordnetes, grünlich graues Gebilde,
das den Durchgang versperrt, und Ihnen vorher vielleicht gar nicht so
aufgefallen ist.
Erst ab einer gewissen Annäherung wird klar, dass es ein massiver
Steintisch ist – der Altar. Er ist eingebaut von dem Flur, gleichzeitig
ragt er über diesen hinaus.
Hier wird Ihnen vor Augen geführt, dass es sich um einen Kirchenraum
handelt. An dieser Stelle des Flures kippt die Raumwahrnehmung zwischen
Hotel und Kirche, Kirche und Hotel.
Der dahinter liegende Raum bleibt unbegehbar und unerreichbar, das
Zimmer mit der Nummer 119 scheint unbenutzbar.
Der kleine Raum hinter dem Altartisch ist ein Unraum.
Der in Herne lebende Künstler Dirk Schlichting zeigt hier in der
Kunstkirche Christ-König ab heute bis zum 25. November unter dem Titel
„…erwartet" eine begehbare Rauminstallation, die mit den Erwartungen des
Besuchers spielt.
Der Blick auf den bekannten oder nur in der Vorstellung vorhandenen
großen Innenraum der Kunstkirche ist verstellt. Ein Hotelflur ist
eingezogen.
Es ist ein reduziert eingerichteter Hotelflur, ein Gang der grade soviel
Informationen enthält, als dass der Besucher erkennen kann, welche
Funktion er haben soll.
Die farbliche Gestaltung des Flurs scheint Anleihen in den 70er Jahren
zu haben, orangefarbener Teppich, gelbe und braune Wände, doch eine
genaue zeitliche Einordnung der Flurgestaltung scheint nicht möglich.
Es ist ebenso wenig ein moderner, durchdesignter Flur, wie ein
gutbürgerlich eingerichtetes Hotel.
Dirk Schlichtings Rauminstallation basiert auf Alltagssituationen oder
Filmbildern, die uns allen schon mal begegnet sind.
Jeder kennt aus eigener Erfahrung oder aus Film und Fernsehen Hotels
bzw. Hotelflure.
Die inszenierte Raumarbeit des Bildhauers ist keine laute, multimediale,
geschweige denn ein interaktiver Unterhaltungsraum.
Vielmehr ist es, wie im Falle dieses Hotelflures, ein stille,
atmosphärisch etwas schummerig anmutende und irgendwie auch wieder
distanzierte Raumarbeit.
Das Licht spielt hier als Stimmungserzeuger oder Stimmungsträger eine
maßgebliche Rolle.
Schlichtings Rauminstallation wirft ihre Besucher auf sich selbst
zurück.
Voraussetzung dafür ist, dass Sie diesen Raum allein begehen und
erfahren.
Und Voraussetzung ist auch, dass Sie sich Zeit nehmen, dass Sie sich
einlassen auf den Ort, den Raum, seine Atmosphäre und Ihre Gedanken oder
Fragen.
Was verbirgt sich hinter den Türen? Wie könnte dieses Hotel sonst noch
aussehen? Und: Wie sieht der Kirchenraum aus? Wie verorte ich mich?
Die Rauminstallation von Dirk Schlichting springt zwischen Fiktion und
Wirklichkeit.
Obgleich Wände, Türen, Stufen und Teppich real vorhanden sind und den
Raum klar begrenzen, schwingt ebenso der real existierende Kirchenraum
in der Vorstellung mit.
Die Installation ist Raumbild gleichermaßen wie Bildraum. Sie löst
Bilder aus, Gedankenbilder, innere und äußere Bilder.
Ebenso schwingt die Ebene von Modell und Raum mit.
Sie finden sich in einem Raum wieder, der grade mal ein Fünftel der
Sechstel und ein Fünftel der Höhe des Kircheninnenraums einnimmt, die
Länge aber sichtbar und erfahrbar lässt.
Der Hotelflur erscheint klein bei Vergegenwärtigung des aus menschlicher
Perspektive überdimensionalen Kirchenraumes.
Ein gegenüber dem Kirchenraum wie ein Miniaturraum erscheinender Flur.
Ein Raum im Raum.
Dirk Schlichting verzichtet hier auf Spuren menschlichen Daseins, auch
sind es nicht mehrere Räume oder narrativen Fragmente – wie die 2008
gezeigte Installation „Innere".
Es ist ein geschlossener Raum ein hortus conclusus, ein geschlossener
Ort der Rückzugs- und Sehnsuchtsort gleichermaßen sein kann, und in der
Bildenden Kunst sowie im Film ein bekanntes Motiv ist.
Aber nicht gedanklich: Dirk Schlichtings Installation „…erwartet" ist
ein Ort voller Rätsel und Widersprüche.
Und, wer will, ein Ort für eine vielschichtige gedankliche Erfahrung.
„Neugierig, nicht wissend, was ihn erwartet, vielleicht auch ein
bisschen ängstlich" wird der Betrachter und Besucher auf die Reise
geschickt und ist dabei vielleicht auch „offen für Wunder".
Christoph Kivelitz schrieb 2005: „So schafft Dirk Schlichting mit seiner
Installation ein Raum greifendes Bild, das in seinen Uneindeutigkeiten,
Vielschichtigkeiten und Widersprüchen jedes konkrete Nutzungskonzept
umspielt. Jenseits der Antagonismen von Vision und Realität schafft er
eine offene, nicht zu bestimmende Situation, in der die Bezüge von Raum
und Zeit widersinnig ineinander verschachtelt sind."
Diesen Worten möchte ich mich anschließen
und wünsche Ihnen bei der Begehung dieses Raumes viele spannende
Gedanken und Fragen.
Simone Rikeit |
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