Bloch zog die Vorhänge zu
und ging hinaus, 1998 im Rahmen der Ausstellung "Fünf aus Herne", Flottmann Hallen |
Übersicht: Arbeiten mit Licht | ||||
vier gelochteTintenstrahldrucke zwischen 250 x 240 und 400 x 240 cm |
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,,Bloch zog die
Vorhänge zu und ging hinaus" oder die Welt und ihre
Schatten - Überlegungen zu einer Rauminstallation von
Dirk Schlichting Ohne Licht gäbe es kein Sehen, und nur damit können Weltbilder entstehen, die sich aus der wahrnehmbaren Oberfläche definieren. Vergleichbar dem Sehen, ist auch die Fotografie nur durch Licht möglich, das durch die geöffnete Linse in den Apparat einfällt und die optischen Daten der Außenwelt auf dem empfindlichen Fotopapier abzeichnet. So scheint die Fotografie in besonderer Weise der Wahrnehmung von Welt und damit auch der Reflexion über Welt nahe zu stehen. Welt aber ist eine Konstruktion und folglich kann auch jedes Abbild der Welt nur die Verbildlichung einer Konstruktion sein. Dieses theoretisch Gewußte wird in der Installation von Dirk Schlichting zur unmittelbar körperlichen Erfahrung. Und der Umgang mit Fotografien steht dabei im Zentrum dieses Kunstraumes. Wir sitzen immer noch in Platons Höhle, glauben wir bei der Fotografie an bloße Abbilder der Wahrheit, mit diesem Gedanken leitet Susan Sontag ihre Sammlung von Essays ,,Über Fotografie" ein. So ist jedes Foto im Grunde eine Interpretation, und denkt man diesen Gedanken weiter, so ist jedes Kunstwerk, das mit Fotografien arbeitet eine Interpretation dieser Interpretation. Und jenes ,,Höhlengleichnis" von Platon, auf das Susan Sontag dabei verweist, stellt eben ein Gleichnis über die Entstehung von Weltbildern dar, das deutlich macht wie Wahrnehmung und Denken in Wechselwirkung funktionieren und wie sie von den Bedingungen unseres Wissens abhängen. Mit seinem Raum hat der Künstler Dirk Schlichting eine Installation geschaffen, die in ihrem Aufbau unweigerlich jenes vielzitierte platon'sche Höhlengleichnis assoziieren läßt und gleichzeitig über das Verhältnis des Elementes Licht und das Sehen, über fotografische Abbilder und unsere Konstruktionen von Welt spricht. Schlichtings Raum erinnert in seiner fensterlosen Dunkelheit an eine Höhle. Künstlich bildet er einen Gegenentwurf zur äußeren Realität. Innerhalb dieses Raumes, der einen Rahmen aus vier Wänden bildet, sind wiederum vier große Bilder so angebracht, daß sie ein an seinen Seiten begehbares, inneres Quadrat bilden. In der Mitte dieser Installation hängt eine bloße Glühbirne von der Decke. Mit ihrem gleißenden, künstlichen Licht erhellt sie das innere, abgegrenzte Geviert und verunklärt es doch gleichzeitig wiederum in der Produktion einer diffusen gelblichen Atmosphäre. Die Konstruktion des Raumes vollzieht sich in mehreren Schritten. Jene Fotografien, die das Ausgangsmaterial für die vier großen Bildtafeln bilden, diese vermeintlichen Abbilder von Realität, sind bereits in ihrer ursprünglichen Form als Schwarzweißaufnahmen eine Abstraktion des gewohnten Blickes, denn es gibt kein schwarzweißes Sehen. Mittels Computer sind sie nun stark vergrößert und auf Papier kopiert, als Motiv ist jeweils eine urbane Szenerie zu erkennen: insgesamt vier ganz alltägliche, belanglose Aufnahmen einer Stadt Oder besser, diese Motive wären darauf zu erkennen, würde nicht zum einen die ungeheure Vergrößerung der ursprünglichen Schwarzweißfotografien das Wiedererkennen der abgebildeten Szenen erschweren und zum anderen sich die Bildfläche durch ihr Gelochtsein beinahe auflösen. Das Herausstanzen der zahllosen runden Flächen und das darin sich ergebende Durchbrechen der Bildwand, hat nicht nur den Effekt, daß sich das Bild auflöst, sondern daß bei seiner Aufhängung im Raum durch die Öffnungen der Bildebenen das künstliche Licht der Glühbirne auch in den hinteren Bereich dringen kann und sich an Wänden und Boden abzeichnet. Verliert das Bild an abbildender Substanz, wird es doch gleichzeitig, indem der Raum nun in es eingreifen kann, selbst raumgreifend. Die Grenzen verwischen, Hell und Dunkel, Licht und Schatten, Bild und Raum, Abbild und Abstraktion mischen sich. Und auch die Grenzen zwischen Betrachter und Werk existieren nicht mehr eindeutig, denn er wird, egal an welcher Stelle des Raumes er sich befindet, zum optischen Bestandteil der Installation. Die Wahrnehmung des Ortes schwankt zwischen der optische Verunsicherung des eigenen Standpunktes und den statischen, raumgreifend perspektivischen Eindrücken der nahezu Iebensgroßen Bilder, die je nach Blickpunkt auch als weitere begehbare Räume erscheinen können. Es mag auffallen, daß die gezeigten Bilder nicht aus dem unmittelbaren Umfeld des Ausstellungsraumes stammen, sie erscheinen aber wiederum so wenig speziell, daß sie sich jeder beliebigen Stadt zuordnen lieen. Bei Schlichting geht es um die Idee eines Bildes der Welt, insofern ist es unbedeutend, ob die Fotografien die gezeigt werden sich auf den direkten Umraum der Arbeit beziehen oder nicht, es genügt, daß es Ab-Bilder eines urbanen Umfeldes sind. Es ist längst kein neuer Gedanke mehr, daß unsere moderne Welt wie nie zuvor von fotografischen Bildern bestimmt wird, die neue visuelle Codes lehren. Sie verändern, erweitern und beeinflussen so nicht zuletzt auch unsere Vorstellung von dem, was anschauenswert ist und was nicht. Unsere Wahrnehmung, die uns so selbstverständlich scheint, ist folglich keine absolute, sondern eine manipulierte. Kunst manipuliert hier ihren Betrachter entgegengesetzt: indem sie den gewohnten Blick unterläuft und dabei ein der alltäglichen Realität entgegnendes Sehen freisetzt; und sie tut dies ganz offensichtlich. Wenn Schlichting mit seiner Installation den alltäglichen Blick hinterfragt, verwirrt er ihn doch gleichzeitig wiederum, indem er sich eindeutiger Aussagen entzieht. Ähnlich wie das diffuse, gelbliche Licht den Blick auf einer optischen Ebene ebenso erhellt wie verunklärt, geschieht dies auf einer poetischen Ebene durch den ungewöhnlichen Titel der Arbeit: ,,Bloch zog die Vorhänge zu und ging hinaus." Die karge Textzeile stammt aus Peter Handkes 1 970 erschienenem Prosastück ,,Die Angst des Tormannes beim Elfmeter". Auch in Handkes Erzählung geht es um eine grundsätzliche Erkenntnisproblematik. Der von Schlichting als Titel gewählte Satz folgt im Buch der Beschreibung eines totalen Wahrnehmungsbruches des Protagonisten. Josef Bloch, der tragische Held in Handkes Erzählung, hatte kurz zuvor begonnen seine Umwelt nur noch verkehrt und in abstrakten Zeichen wahrzunehmen. So ist dieser Titel in bezug auf Schlichtings Arbeit als verdoppelnder Hinweis auf die Irritation alltäglicher Wahrnehmung zu lesen. Die Kunsterfahrung für den Betrachter von Schlichtings Raum liegt in letzter Konsequenz im Vergleich der gesamten Installation mit ihrem äußeren Kontext, zwischen realer Welt draußen und künstlicher Welt innen. Was in Schlichtings Installation auch im übertragenen Sinne über das allein Sichtbaren hinausweist, deutet auf dessen Idee, die stets wie ein Schatten hinter der materiellen Oberfläche liegt. Diana Ebster, September 1998
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