Berliner Spalt | |||
Eröffnung: Foto von Margret Kampmeyer | Karte und Plakat: Anny Öztürk | ||
Der Berliner Spalt
DAS BODENLOSE DER KUNST DES DIRK SCHLICHTING Tut sich die Erde auf, ist dies meist das Resultat eines gravierenden Ereignisses. Entweder bleibt es biblisch und es bebt bevor Vorhänge zerreißen oder der Planet
entäußert sich eruptiv, tektonische Platten
verschieben sich. Dies sind insgesamt
gesehen erdhistorische Ausnahmesituationen. Gemeinhin kann sich Mensch auf die Unversehrtheit und unhinterfragte Kontinuität der Erdoberfläche verlassen, auf der er zu seiner Lebenszeit wandelt. Eine Kruste und die Brüchigkeit derselben sind dem Menschen zwar als positive Leiberfahrung in Form eines Heilungsprozesses durchaus bewusst. Und doch geht der Mensch davon aus, dass die Erde unter seinen Füssen ihn tragen wird, in einem komplizierten Wechselspiel von Anziehungskraft, Anstieg und Gefälle. Im domestizierten Raum steht der Boden anstelle der Erde. Der Boden ist eine künstlich geschaffene Oberfläche, zumeist parallel zur Erde angelegt. Sie eleviert die Erdoberfläche mit sämtlichen Regeln und Naturgesetzen in beliebige Höhen. Alles andere ist eine Frage von Statik und Architektur. Die größte Furcht jedoch desjenigen der sich auf den Boden unter seinen Füssen verlässt, ist das Bodenlose. Das Bodenlose ist ein Raum, der eine erstaunliche, mutmaßlich unendliche Ausdehnung irgendwo zwischen Boden und Erde erreicht. Das Erdinnere, jenseits der Kruste lässt sich geologisch denken und über Unterkellerung und U-Bahnschächte leiblich erschließen. Ein Erdkilometer von Walter de Maria bietet eine metallgewordene Linie an der entlang sich in den Untergrund denken lässt. So wird deutlich: Die Erde und ihr Inneres sind endlich. Das Bodenlose hingegen projiziert die Unendlichkeit des die Erde umgebenden All in den Untergrund. Somit ist das Bodenlose ein Raum, der die Erde nicht von ihrer Kruste aus denkt, sondern als einen eigenen Raum von unermesslicher Ausdehnung begreift. Es wohnt dem Bodenlosen das Bewusstsein inne einen Ausgangspunkt, den Boden, zu kennen und kein Ende in der Ausdehnung dieses Abgrundes zu finden, der sich jenseits des Bodens auftut. Das widerspricht der Logik alles Wissens um Welt und Erde. Es ist daher ein fiktiver, ein imaginierter, ein erwünschter Raum. Tut sich die Erde auf, ist dies meist ein gewaltsames Ereignis, das Spuren dieser Gewalten hinterlässt. Es geht dabei um Risse, Verwerfungen und Irregularitäten. Das Bodenlose als fiktiver Raum ist solchen Naturgesetzlichkeiten und ihrer ästhetischen Begleiterscheinungen nicht unterworfen. Und so kommt schließlich auch der Berliner Spalt des Dirk Schlichting ohne jede visuell ästhetische Dramatisierung des Aufbrechens, Aufreißens, des Eruptiven aus. Alles ist gebaut und mit einem Höchstmaß an handwerklicher und ästhetischer Präzision an die vorgefundenen architektonischen Gegebenheiten angepasst. Der Berliner Spalt ist ein Raum, in dem sich der Boden auftut. Ganz ordentlich, sehr geregelt. Man steigt eine Treppe empor, betritt einen Boden, ein Teppichläufer gibt die Laufrichtung vor. Alles strebt einem Fenster zu, dass sich auf Bodenniveau befindet. Geöffnet würde es sich als die Handlungsanleitung zu einem Berliner Fenstersturz anempfehlen. Dass der Läufer auf das Fenster als einzigem Ziel und räumlichem Ausweg zuführt ist jedoch ein inszenatorisches Ablenkungsmanöver. Der wahre Zweck des Teppichs ist es durchzuhängen. Und das genau da, wo sich mitten im Raum der Boden auftut. Ein kleiner, tiefergelegter Kronleuchter markiert die Stelle in Gegenrichtung, stuckgefasst von der Decke aus. Blickt man in den akkurat gefassten Spalt, so blickt man in eine von Berliner Glätte und schwarzem Pigment geformten Kehle. Erkennt man diesen Abgrund mit den eigenen Augen zwar als endlich, so begreift man ihn doch in Hinblick auf seine Lokalisierung im Boden als un-endlich. Schließlich stellt der, die Sicherheit seiner Kontinuität verweigernde Boden, eine allzu große Herausforderung dar, angetan jegliche Evidenz des Augenscheins zu überstimmen. Verstärkt wird dieser Aspekt dadurch, dass der Berliner Spalt eben keine akzidentielle Erscheinung irgendeines unabwendbaren Naturereignisses oder Unfalls darstellt, sondern offensichtlich und mit ebenso großem Aufwand, wie augenscheinlicher Detailverliebtheit bewusst und willentlich herbeigeführt wurde. Dieser Abgrund ist erdacht, gebaut, geformt und zum visuellen und körperlichen Erleben freigegeben. Er regt an, die Vorstellung des Bodenlosen als geistige Erfahrung zu erkunden. Dies kann ein Angstraum sein, oder aber ein Raum unbegrenzter Phantasie und Kreativität. Der Berliner Spalt eröffnet einen imaginären Ort, dessen Dimensionen und Gestalt gänzlich dem Vorstellungsvermögen seiner BetrachterInnen unterliegen. Darüber hinaus dient der Berliner Spalt aber auch ganz praktisch als Falle. Absturz droht: Es besteht erhebliche Verletzungsgefahr! Das Betreten des Raumes ist nicht sicher und erfolgt auf eigene Gefahr. 11m2 warnt somit ausdrücklich vor einem Betreten dieses Raumes und lehnt jede Verantwortung für etwaige Folgeschäden kategorisch ab. Mögliche zukünftige Regressforderungen werden umgehend dem Bodenlosen überantwortet. . Rafael von Uslar |
|||
Raum vor der Installation |
|||
zurück | |||
aktuelles | orts- und themenbezogene Arbeiten |